»solche bilder darf man nicht malen, noch nicht einmal schön«



die Zusammenfassung

Ein Mädchen zieht zum wiederholten Mal mit Stiefvater und Mutter um. Am Wochenende holt der Stiefvater jeweils seine eigene Tochter, damit die Mädchen miteinander spielen. Der Protagonistin fällt es schwer, ihren Stiefvater »Papa« und das Mädchen »Schwester« zu nennen. Die Stiefschwester, die etwas älter ist und daher in allen Belangen besser Bescheid weiß, erzählt der Protagonistin, was Sex ist, und demonstriert ihr Wissen im Spiel – wobei sie nicht vergisst, hinzuzufügen, es sei aber ein großes Geheimnis. Alle Formen sexueller Entwicklung der fünfjährigen Protagonistin, selbst die unbedeutendsten, rufen augenblicklich Hysterie bei ihrer Großmutter und absolutes Schweigen bei ihrer Mutter hervor. Als die Großmutter im Zimmer der Enkelin eine Zeichnung mit nackten Figuren findet, verbietet sie ihr, jemals wieder etwas Ähnliches zu malen, es sei »schlecht«. Die Mutter kommuniziert mit dem Kind über kurze Sätze wie »Sei ein kluges Mädchen« und »Mach mir keine Schande«. Der Stiefvater spricht gar nicht mit ihr, wird aber gelegentlich gewalttätig. In dem postsowjetischen Umfeld, in dem es aufwächst und in dem Sexualität derart tabuisiert wird, ist das Mädchen gezwungen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich ein Bild von der Welt zu machen, das naturgemäß nicht immer korrekt ist.


[Auszug]


16

heute haben wir frei! denn es ist feiertag: der tag unseres landes. papa guckt fernsehen, mama wäscht und kocht. ich hatte lange gebettelt, und mama erlaubte mir schließlich, mit der kamera videos zu machen. ich baute drei länder: das filzstiftland, das barbieland und das knopfland. die filzstifte hatten ein haus aus videokassetten und die knöpfe eins aus kassetten mit liedern drauf. ich teilte die länder mit bändern voneinander ab. die knopfkönigin fuhr heute mit ihren prinzessinnen ins barbieland. ich wollte so spielen, dass es auch einen ken gibt, denn das barbieland brauchte ja auch einen präsidenten. ich fragte mama, ob sie mir ken kaufen könne. mama fragte, was das sei. ich sagte, ein barbiejunge. mama sah nicht ein, wozu ich den brauchte. ich sagte, dass wir im kindergarten immer mit ken spielen und dass ich jetzt gerade einen präsidenten bräuchte. mama sagte, dass eine frau genauso gut präsident sein könne. ich fragte mama, in welchem land denn eine frau präsident wäre. mama sagte, dass sie das nicht wisse, und ich spielte ohne ken weiter. ich überlegte und beschloss, dass sindy als die älteste präsident werden sollte. die knopfkönigin fuhr also ins barbieland und wurde von sindy begrüßt. sie drehte sich, machte einen spagat und bekam zehn punkte. mama sagt, dass es unterschiedliche spagate gibt. wenn ich einen mache, sagt mama, gibt es dafür nur sieben punkte. aber das ist dann ein längsspagat. es gibt auch den querspagat, so kann sich barbie aber nicht hinsetzen. sindy kann die knie nicht knicken, weil sie schon so alt ist. bei barbie knicken sie richtig, und sie zeigt noch eine andere nummer: sie beugt die knie in unterschiedliche richtungen. danach fragte barbie, was die knopfkönigin denn so kann. die knopfkönigin kann sich drehen! ich ließ den knopf kreiseln, und seine oberfläche verwischte. er drehte sich sehr schnell und kam dann langsam zum stehen. mama sagt, dass das so ähnlich aussieht wie eiskunstlauf, sie mag eiskunstlauf sehr. sie erklärt mir, dass man das »drehschwung« nennt. danach gingen barbie und die knöpfe ins filzstiftland. auch die filzstifte und die marker hatten sich mit kleidern herausgeputzt und drehten sich. man konnte sie anpusten, und dann flogen die kleider schön. mama war fertig mit dem waschen und ging zu papa, um auch fernsehen zu gucken. im fernsehen zeigten sie eine sendung, in der kinder, die so alt wie ich oder etwas älter waren, lieder sangen. mama mag diese sendung. sie und papa guckten das, und ich filmte die länder. dann sagte mama: »schau mal! dieses mädchen ist auch vier, aber wie die singt!«, und ich ging hin, um es mir anzusehen. das mädchen sang, und mama freute sich. sie sagte zu papa: »also sowas, was es für erstaunliche kinder gibt!« ich ging spielen. mama fragte: »warum interessiert dich das denn nicht? die sind genauso alt wie du, aber singen schon auf der bühne, das ist doch toll!« ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wollte weiterspielen. aber es klappte irgendwie nicht. ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. deshalb fing ich an aufzuräumen. die knöpfe ins glas, die filzstifte in die schachtel, die barbie in den schrank. meine augen brannten, und das schlucken wurde sehr schwer. ich wartete darauf, dass die sendung schnell zu ende ging, aber sie ging nicht zu ende. ich legte mich aufs bett und begann, die blümchen auf der tapete zu zahlen. ich kann sehr weit zählen! ich kenne alle zahlen! die stehen hinten im lexikon.


17
mama und papa streiten sich die ganze zeit. und wenn papa bier trinkt, wird er komisch und will mich in den arm nehmen, aber ich renne weg, weil er schlecht riecht. mama hat gesagt, dass ich bei oma wohnen soll. und so bin ich zu oma gezogen. ich bin mit oma in ihre schule gegangen und habe da gemalt, während sie unterrichtete. gestern habe ich einen tiger gemalt, und oma hat mich gelobt und für den tiger einen rahmen gemacht und ihn an die wand gehängt. omas freundin hat eine tochter, lisa. lisa lernt tanz und hat schöne helle haare. sie kamen zu besuch, damit oma lisas maße nehmen konnte, um ihr ein ballkleid zu nähen. ich wollte auch so ein kleid, aber mama will mich nicht in den tanzunterricht lassen, denn sie sagt, ich habe kein rhythmusgefühl und bewege mich schlecht und kann überhaupt gar nichts. oma nähte, und ihre freundin ging besorgungen machen, und lisa und ich spielten im anderen zimmer, und ich erzählte ihr, wie die leute ficken. lisa sagte, dass sie das auch will. lisa und ich legten uns abwechselnd unter die decke, wo es dunkel war und man uns nicht sah. lisa fragte mich, was man machen muss, und ich sagte ihr, dass man sich einfach nur hin und her bewegen muss. und dann erwischte uns oma und schimpfte ganz doll mit uns. lisa weinte und bat sie, ihrer mama nichts zu sagen. aber oma schimpfte und sagte, dass das sünde sei und gott uns bestrafen werde. wir schämten uns sehr, und ich beschloss, das nicht mehr zu machen. oma schickte mich zurück, und ich wohnte wieder bei mama und papa.


18
gestern wurde ich getauft. man gab mir ein kleines silbernes kreuz und sagte, dass ich es nie wieder abnehmen solle. mir hat die taufe nicht gefallen. sie war langweilig, dauerte lange, und es waren viele leute da. und heute sind wir wieder in die kirche gegangen, und ich musste etwas von einem löffel essen. alle haben den abgeleckt, und ich wollte das nicht, aber mama sagte, dass ich das unbedingt machen müsse. ich aß etwas nicht leckeres, weiches. mama sagte: »das sind leib und blut christi«. ich verstand nicht, warum man den körper von jemand anderem essen sollte. mama sagte, das sei im übertragenen sinne. das verstand ich. dann bekam ich ein neues testament. aber ich wollte es nicht lesen. es steckte in einem überhaupt nicht schönen und traurig aussehenden schutzumschlag. darauf sei der liebe gott abgebildet, erzählten sie mir und auch, was mit ihm passiert war. das machte mich sehr traurig. aber mama erklärte mir, dass alles gut sei und er jetzt im himmel sei und auf uns schaue und daher müsse man sich gut benehmen, damit er nicht traurig werde, denn er war ja gestorben, damit wir alle uns gut benehmen würden.


19
dascha und sonja kamen wieder und redeten nur über jungs, und dascha war ganz anders geworden. sie lief nur noch sonja hinterher und machte alles, was die ihr sagte. mich brauchten sie nicht. und dann kam papa und schimpfte mit mir und haute mir eine runter. er schlug mich, weil ich mich nicht umgezogen hatte. und dascha und sonja hatten kein mitleid mit mir. ich dachte mir, dass ich beim nächsten mal, wenn papa mich schlagen würde, schnell seinen jeansgürtel nehmen und zurückschlagen würde. danach zog ich mich um. dascha und sonja hörten musik und tanzten im wohnzimmer. ich tanzte mit. Ich hüpfte so doll, dass ich danach auf dem teppich lag und nach luft schnappte. und sonja stieg über mich drüber. ich bat sie, wieder über mich zurückzusteigen, weil man mir im kindergarten gesagt hatte, dass ich nicht weiterwachse, wenn man nicht zurücksteigt. aber sonja lachte und sagte, dass sie das nicht tun werde. dascha lachte mit. ich bat sie, doch bitte wieder über mich zurückzusteigen, aber sie stieg trotzdem nicht über mich zurück. ich weinte, weil ich angst hatte, jetzt nicht mehr zu wachsen, und sie tanzten einfach weiter und sangen laut. ich verstand nicht, warum sonja nicht über mich zurücksteigen konnte. dascha stieg auch über mich drüber und lachte. abends fuhr sonja weg, und dascha blieb über nacht. ich bat dascha noch einmal, über mich drüberzusteigen, aber dascha sagte nein. sie schlug vor, familie zu spielen. ich wollte nicht. dascha sagte: »ich befehle es dir aber!« und sie schmiss mich auf den boden und setzte sich auf mich drauf. ich versuchte, sie von mir runterzubekommen, aber sie ist sehr dick und sehr stark. sie legte sich auf mich und lag lange auf mir drauf, ich konnte gar nicht mehr atmen. sie fragte: »spielst du jetzt mit mir familie oder nicht?« ich sagte: »mache ich, wenn du über mich drübersteigst.« da hielt mir dascha mit ihrer klebrigen hand mund und nase zu und fragte noch einmal: »spielst du?« ich sah ein, dass ich bald ersticken würde, und nickte. sie stieg von mir runter. sie reichte mir den ball und sagte, ich solle ihn in mir in die unterhose legen, weil ich dann meinem papa ähnlicher sei. und wir spielten weiter.


Aus dem Russischen von Anna Brixa
»solche bilder darf man nicht malen, noch nicht einmal schön«


die Zusammenfassung

Ein Mädchen zieht zum wiederholten Mal mit Stiefvater und Mutter um. Am Wochenende holt der Stiefvater jeweils seine eigene Tochter, da- mit die Mädchen miteinander spielen. Der Protagonistin fällt es schwer, ihren Stiefvater »Papa« und das Mädchen »Schwester« zu nennen. Die Stiefschwester, die etwas älter ist und daher in allen Belangen besser Bescheid weiß, erzählt der Protagonistin, was Sex ist, und demonstriert ihr Wissen im Spiel – wobei sie nicht vergisst, hinzuzufügen, es sei aber ein großes Geheimnis. Alle Formen sexueller Entwicklung der fünfjährigen Protagonistin, selbst die unbedeutendsten, rufen augenblicklich Hysterie bei ihrer Großmutter und absolutes Schweigen bei ihrer Mutter hervor. Als die Großmutter im Zimmer der Enkelin eine Zeichnung mit nackten Figuren findet, verbietet sie ihr, jemals wieder etwas Ähnliches zu malen, es sei »schlecht«. Die Mutter kommuniziert mit dem Kind über kurze Sätze wie »Sei ein kluges Mädchen« und »Mach mir keine Schande«. Der Stiefvater spricht gar nicht mit ihr, wird aber gelegentlich gewalttätig. In dem postsowjetischen Umfeld, in dem es aufwächst und in dem Sexualität derart tabuisiert wird, ist das Mädchen gezwungen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich ein Bild von der Welt zu machen, das naturgemäß nicht immer korrekt ist.


[Auszug]


16

heute haben wir frei! denn es ist feiertag: der tag unseres landes. papa guckt fernsehen, mama wäscht und kocht. ich hatte lange gebettelt, und mama erlaubte mir schließlich, mit der kamera videos zu machen. ich baute drei länder: das filzstiftland, das barbieland und das knopfland. die filzstifte hatten ein haus aus videokassetten und die knöpfe eins aus kassetten mit liedern drauf. ich teilte die länder mit bändern voneinander ab. die knopfkönigin fuhr heute mit ihren prinzessinnen ins barbieland. ich wollte so spielen, dass es auch einen ken gibt, denn das barbieland brauchte ja auch einen präsidenten. ich fragte mama, ob sie mir ken kaufen könne. mama fragte, was das sei. ich sagte, ein barbiejunge. mama sah nicht ein, wozu ich den brauchte. ich sagte, dass wir im kindergarten immer mit ken spielen und dass ich jetzt gerade einen präsidenten bräuchte. mama sagte, dass eine frau genauso gut präsident sein könne. ich fragte mama, in welchem land denn eine frau präsident wäre. mama sagte, dass sie das nicht wisse, und ich spielte ohne ken weiter. ich überlegte und beschloss, dass sindy als die älteste präsident werden sollte. die knopfkönigin fuhr also ins barbieland und wurde von sindy begrüßt. sie drehte sich, machte einen spagat und bekam zehn punkte. mama sagt, dass es unterschiedliche spagate gibt. wenn ich einen mache, sagt mama, gibt es dafür nur sieben punkte. aber das ist dann ein längsspagat. es gibt auch den querspagat, so kann sich barbie aber nicht hinsetzen. sindy kann die knie nicht knicken, weil sie schon so alt ist. bei barbie knicken sie richtig, und sie zeigt noch eine andere nummer: sie beugt die knie in unterschiedliche richtungen. danach fragte barbie, was die knopfkönigin denn so kann. die knopfkönigin kann sich drehen! ich ließ den knopf kreiseln, und seine oberfläche verwischte. er drehte sich sehr schnell und kam dann langsam zum stehen. mama sagt, dass das so ähnlich aussieht wie eiskunstlauf, sie mag eiskunstlauf sehr. sie erklärt mir, dass man das »drehschwung« nennt. danach gingen barbie und die knöpfe ins filzstiftland. auch die filzstifte und die marker hatten sich mit kleidern herausgeputzt und drehten sich. man konnte sie anpusten, und dann flogen die kleider schön. mama war fertig mit dem waschen und ging zu papa, um auch fernsehen zu gucken. im fernsehen zeigten sie eine sendung, in der kinder, die so alt wie ich oder etwas älter waren, lieder sangen. mama mag diese sendung. sie und papa guckten das, und ich filmte die länder. dann sagte mama: »schau mal! dieses mädchen ist auch vier, aber wie die singt!«, und ich ging hin, um es mir anzusehen. das mädchen sang, und mama freute sich. sie sagte zu papa: »also sowas, was es für erstaunliche kinder gibt!« ich ging spielen. mama fragte: »warum interessiert dich das denn nicht? die sind genauso alt wie du, aber singen schon auf der bühne, das ist doch toll!« ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wollte weiterspielen. aber es klappte irgendwie nicht. ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. deshalb fing ich an aufzuräumen. die knöpfe ins glas, die filzstifte in die schachtel, die barbie in den schrank. meine augen brannten, und das schlucken wurde sehr schwer. ich wartete darauf, dass die sendung schnell zu ende ging, aber sie ging nicht zu ende. ich legte mich aufs bett und begann, die blümchen auf der tapete zu zahlen. ich kann sehr weit zählen! ich kenne alle zahlen! die stehen hinten im lexikon.


17
mama und papa streiten sich die ganze zeit. und wenn papa bier trinkt, wird er komisch und will mich in den arm nehmen, aber ich renne weg, weil er schlecht riecht. mama hat gesagt, dass ich bei oma wohnen soll. und so bin ich zu oma gezogen. ich bin mit oma in ihre schule gegangen und habe da gemalt, während sie unterrichtete. gestern habe ich einen tiger gemalt, und oma hat mich gelobt und für den tiger einen rahmen gemacht und ihn an die wand gehängt. omas freundin hat eine tochter, lisa. lisa lernt tanz und hat schöne helle haare. sie kamen zu besuch, damit oma lisas maße nehmen konnte, um ihr ein ballkleid zu nähen. ich wollte auch so ein kleid, aber mama will mich nicht in den tanzunterricht lassen, denn sie sagt, ich habe kein rhythmusgefühl und bewege mich schlecht und kann überhaupt gar nichts. oma nähte, und ihre freundin ging besorgungen machen, und lisa und ich spielten im anderen zimmer, und ich erzählte ihr, wie die leute ficken. lisa sagte, dass sie das auch will. lisa und ich legten uns abwechselnd unter die decke, wo es dunkel war und man uns nicht sah. lisa fragte mich, was man machen muss, und ich sagte ihr, dass man sich einfach nur hin und her bewegen muss. und dann erwischte uns oma und schimpfte ganz doll mit uns. lisa weinte und bat sie, ihrer mama nichts zu sagen. aber oma schimpfte und sagte, dass das sünde sei und gott uns bestrafen werde. wir schämten uns sehr, und ich beschloss, das nicht mehr zu machen. oma schickte mich zurück, und ich wohnte wieder bei mama und papa.


18
gestern wurde ich getauft. man gab mir ein kleines silbernes kreuz und sagte, dass ich es nie wieder abnehmen solle. mir hat die taufe nicht gefallen. sie war langweilig, dauerte lange, und es waren viele leute da. und heute sind wir wieder in die kirche gegangen, und ich musste etwas von einem löffel essen. alle haben den abgeleckt, und ich wollte das nicht, aber mama sagte, dass ich das unbedingt machen müsse. ich aß etwas nicht leckeres, weiches. mama sagte: »das sind leib und blut christi«. ich verstand nicht, warum man den körper von jemand anderem essen sollte. mama sagte, das sei im übertragenen sinne. das verstand ich. dann bekam ich ein neues testament. aber ich wollte es nicht lesen. es steckte in einem überhaupt nicht schönen und traurig aussehenden schutzumschlag. darauf sei der liebe gott abgebildet, erzählten sie mir und auch, was mit ihm passiert war. das machte mich sehr traurig. aber mama erklärte mir, dass alles gut sei und er jetzt im himmel sei und auf uns schaue und daher müsse man sich gut benehmen, damit er nicht traurig werde, denn er war ja gestorben, damit wir alle uns gut benehmen würden.


19
dascha und sonja kamen wieder und redeten nur über jungs, und dascha war ganz anders geworden. sie lief nur noch sonja hinterher und machte alles, was die ihr sagte. mich brauchten sie nicht. und dann kam papa und schimpfte mit mir und haute mir eine runter. er schlug mich, weil ich mich nicht umgezogen hatte. und dascha und sonja hatten kein mitleid mit mir. ich dachte mir, dass ich beim nächsten mal, wenn papa mich schlagen würde, schnell seinen jeansgürtel nehmen und zurückschlagen würde. danach zog ich mich um. dascha und sonja hörten musik und tanzten im wohnzimmer. ich tanzte mit. Ich hüpfte so doll, dass ich danach auf dem teppich lag und nach luft schnappte. und sonja stieg über mich drüber. ich bat sie, wieder über mich zurückzusteigen, weil man mir im kindergarten gesagt hatte, dass ich nicht weiterwachse, wenn man nicht zurücksteigt. aber sonja lachte und sagte, dass sie das nicht tun werde. dascha lachte mit. ich bat sie, doch bitte wieder über mich zurückzusteigen, aber sie stieg trotzdem nicht über mich zurück. ich weinte, weil ich angst hatte, jetzt nicht mehr zu wachsen, und sie tanzten einfach weiter und sangen laut. ich verstand nicht, warum sonja nicht über mich zurücksteigen konnte. dascha stieg auch über mich drüber und lachte. abends fuhr sonja weg, und dascha blieb über nacht. ich bat dascha noch einmal, über mich drüberzusteigen, aber dascha sagte nein. sie schlug vor, familie zu spielen. ich wollte nicht. dascha sagte: »ich befehle es dir aber!« und sie schmiss mich auf den boden und setzte sich auf mich drauf. ich versuchte, sie von mir runterzubekommen, aber sie ist sehr dick und sehr stark. sie legte sich auf mich und lag lange auf mir drauf, ich konnte gar nicht mehr atmen. sie fragte: »spielst du jetzt mit mir familie oder nicht?« ich sagte: »mache ich, wenn du über mich drübersteigst.« da hielt mir dascha mit ihrer klebrigen hand mund und nase zu und fragte noch einmal: »spielst du?« ich sah ein, dass ich bald ersticken würde, und nickte. sie stieg von mir runter. sie reichte mir den ball und sagte, ich solle ihn in mir in die unterhose legen, weil ich dann meinem papa ähnlicher sei. und wir spielten weiter.


Aus dem Russischen von Anna Brixa
»solche bilder darf man nicht malen, noch nicht einmal schön«



die Zusammenfassung

Ein Mädchen zieht zum wiederholten Mal mit Stiefvater und Mutter um. Am Wochenende holt der Stiefvater jeweils seine eigene Tochter, da- mit die Mädchen miteinander spielen. Der Protagonistin fällt es schwer, ihren Stiefvater »Papa« und das Mädchen »Schwester« zu nennen. Die Stiefschwester, die etwas älter ist und daher in allen Belangen besser Bescheid weiß, erzählt der Protagonistin, was Sex ist, und demonstriert ihr Wissen im Spiel – wobei sie nicht vergisst, hinzuzufügen, es sei aber ein großes Geheimnis. Alle Formen sexueller Entwicklung der fünfjährigen Protagonistin, selbst die unbedeutendsten, rufen augenblicklich Hysterie bei ihrer Großmutter und absolutes Schweigen bei ihrer Mutter hervor. Als die Großmutter im Zimmer der Enkelin eine Zeichnung mit nackten Figuren findet, verbietet sie ihr, jemals wieder etwas Ähnliches zu malen, es sei »schlecht«. Die Mutter kommuniziert mit dem Kind über kurze Sätze wie »Sei ein kluges Mädchen« und »Mach mir keine Schande«. Der Stiefvater spricht gar nicht mit ihr, wird aber gelegentlich gewalttätig. In dem postsowjetischen Umfeld, in dem es aufwächst und in dem Sexualität derart tabuisiert wird, ist das Mädchen gezwungen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich ein Bild von der Welt zu machen, das naturgemäß nicht immer korrekt ist.


[Auszug]


16

heute haben wir frei! denn es ist feiertag: der tag unseres landes. papa guckt fernsehen, mama wäscht und kocht. ich hatte lange gebettelt, und mama erlaubte mir schließlich, mit der kamera videos zu machen. ich baute drei länder: das filzstiftland, das barbieland und das knopfland. die filzstifte hatten ein haus aus videokassetten und die knöpfe eins aus kassetten mit liedern drauf. ich teilte die länder mit bändern voneinander ab. die knopfkönigin fuhr heute mit ihren prinzessinnen ins barbieland. ich wollte so spielen, dass es auch einen ken gibt, denn das barbieland brauchte ja auch einen präsidenten. ich fragte mama, ob sie mir ken kaufen könne. mama fragte, was das sei. ich sagte, ein barbiejunge. mama sah nicht ein, wozu ich den brauchte. ich sagte, dass wir im kindergarten immer mit ken spielen und dass ich jetzt gerade einen präsidenten bräuchte. mama sagte, dass eine frau genauso gut präsident sein könne. ich fragte mama, in welchem land denn eine frau präsident wäre. mama sagte, dass sie das nicht wisse, und ich spielte ohne ken weiter. ich überlegte und beschloss, dass sindy als die älteste präsident werden sollte. die knopfkönigin fuhr also ins barbieland und wurde von sindy begrüßt. sie drehte sich, machte einen spagat und bekam zehn punkte. mama sagt, dass es unterschiedliche spagate gibt. wenn ich einen mache, sagt mama, gibt es dafür nur sieben punkte. aber das ist dann ein längsspagat. es gibt auch den querspagat, so kann sich barbie aber nicht hinsetzen. sindy kann die knie nicht knicken, weil sie schon so alt ist. bei barbie knicken sie richtig, und sie zeigt noch eine andere nummer: sie beugt die knie in unterschiedliche richtungen. danach fragte barbie, was die knopfkönigin denn so kann. die knopfkönigin kann sich drehen! ich ließ den knopf kreiseln, und seine oberfläche verwischte. er drehte sich sehr schnell und kam dann langsam zum stehen. mama sagt, dass das so ähnlich aussieht wie eiskunstlauf, sie mag eiskunstlauf sehr. sie erklärt mir, dass man das »drehschwung« nennt. danach gingen barbie und die knöpfe ins filzstiftland. auch die filzstifte und die marker hatten sich mit kleidern herausgeputzt und drehten sich. man konnte sie anpusten, und dann flogen die kleider schön. mama war fertig mit dem waschen und ging zu papa, um auch fernsehen zu gucken. im fernsehen zeigten sie eine sendung, in der kinder, die so alt wie ich oder etwas älter waren, lieder sangen. mama mag diese sendung. sie und papa guckten das, und ich filmte die länder. dann sagte mama: »schau mal! dieses mädchen ist auch vier, aber wie die singt!«, und ich ging hin, um es mir anzusehen. das mädchen sang, und mama freute sich. sie sagte zu papa: »also sowas, was es für erstaunliche kinder gibt!« ich ging spielen. mama fragte: »warum interessiert dich das denn nicht? die sind genauso alt wie du, aber singen schon auf der bühne, das ist doch toll!« ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wollte weiterspielen. aber es klappte irgendwie nicht. ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. deshalb fing ich an aufzuräumen. die knöpfe ins glas, die filzstifte in die schachtel, die barbie in den schrank. meine augen brannten, und das schlucken wurde sehr schwer. ich wartete darauf, dass die sendung schnell zu ende ging, aber sie ging nicht zu ende. ich legte mich aufs bett und begann, die blümchen auf der tapete zu zahlen. ich kann sehr weit zählen! ich kenne alle zahlen! die stehen hinten im lexikon.


17
mama und papa streiten sich die ganze zeit. und wenn papa bier trinkt, wird er komisch und will mich in den arm nehmen, aber ich renne weg, weil er schlecht riecht. mama hat gesagt, dass ich bei oma wohnen soll. und so bin ich zu oma gezogen. ich bin mit oma in ihre schule gegangen und habe da gemalt, während sie unterrichtete. gestern habe ich einen tiger gemalt, und oma hat mich gelobt und für den tiger einen rahmen gemacht und ihn an die wand gehängt. omas freundin hat eine tochter, lisa. lisa lernt tanz und hat schöne helle haare. sie kamen zu besuch, damit oma lisas maße nehmen konnte, um ihr ein ballkleid zu nähen. ich wollte auch so ein kleid, aber mama will mich nicht in den tanzunterricht lassen, denn sie sagt, ich habe kein rhythmusgefühl und bewege mich schlecht und kann überhaupt gar nichts. oma nähte, und ihre freundin ging besorgungen machen, und lisa und ich spielten im anderen zimmer, und ich erzählte ihr, wie die leute ficken. lisa sagte, dass sie das auch will. lisa und ich legten uns abwechselnd unter die decke, wo es dunkel war und man uns nicht sah. lisa fragte mich, was man machen muss, und ich sagte ihr, dass man sich einfach nur hin und her bewegen muss. und dann erwischte uns oma und schimpfte ganz doll mit uns. lisa weinte und bat sie, ihrer mama nichts zu sagen. aber oma schimpfte und sagte, dass das sünde sei und gott uns bestrafen werde. wir schämten uns sehr, und ich beschloss, das nicht mehr zu machen. oma schickte mich zurück, und ich wohnte wieder bei mama und papa.


18
gestern wurde ich getauft. man gab mir ein kleines silbernes kreuz und sagte, dass ich es nie wieder abnehmen solle. mir hat die taufe nicht gefallen. sie war langweilig, dauerte lange, und es waren viele leute da. und heute sind wir wieder in die kirche gegangen, und ich musste etwas von einem löffel essen. alle haben den abgeleckt, und ich wollte das nicht, aber mama sagte, dass ich das unbedingt machen müsse. ich aß etwas nicht leckeres, weiches. mama sagte: »das sind leib und blut christi«. ich verstand nicht, warum man den körper von jemand anderem essen sollte. mama sagte, das sei im übertragenen sinne. das verstand ich. dann bekam ich ein neues testament. aber ich wollte es nicht lesen. es steckte in einem überhaupt nicht schönen und traurig aussehenden schutzumschlag. darauf sei der liebe gott abgebildet, erzählten sie mir und auch, was mit ihm passiert war. das machte mich sehr traurig. aber mama erklärte mir, dass alles gut sei und er jetzt im himmel sei und auf uns schaue und daher müsse man sich gut benehmen, damit er nicht traurig werde, denn er war ja gestorben, damit wir alle uns gut benehmen würden.


19
dascha und sonja kamen wieder und redeten nur über jungs, und dascha war ganz anders geworden. sie lief nur noch sonja hinterher und machte alles, was die ihr sagte. mich brauchten sie nicht. und dann kam papa und schimpfte mit mir und haute mir eine runter. er schlug mich, weil ich mich nicht umgezogen hatte. und dascha und sonja hatten kein mitleid mit mir. ich dachte mir, dass ich beim nächsten mal, wenn papa mich schlagen würde, schnell seinen jeansgürtel nehmen und zurückschlagen würde. danach zog ich mich um. dascha und sonja hörten musik und tanzten im wohnzimmer. ich tanzte mit. Ich hüpfte so doll, dass ich danach auf dem teppich lag und nach luft schnappte. und sonja stieg über mich drüber. ich bat sie, wieder über mich zurückzusteigen, weil man mir im kindergarten gesagt hatte, dass ich nicht weiterwachse, wenn man nicht zurücksteigt. aber sonja lachte und sagte, dass sie das nicht tun werde. dascha lachte mit. ich bat sie, doch bitte wieder über mich zurückzusteigen, aber sie stieg trotzdem nicht über mich zurück. ich weinte, weil ich angst hatte, jetzt nicht mehr zu wachsen, und sie tanzten einfach weiter und sangen laut. ich verstand nicht, warum sonja nicht über mich zurücksteigen konnte. dascha stieg auch über mich drüber und lachte. abends fuhr sonja weg, und dascha blieb über nacht. ich bat dascha noch einmal, über mich drüberzusteigen, aber dascha sagte nein. sie schlug vor, familie zu spielen. ich wollte nicht. dascha sagte: »ich befehle es dir aber!« und sie schmiss mich auf den boden und setzte sich auf mich drauf. ich versuchte, sie von mir runterzubekommen, aber sie ist sehr dick und sehr stark. sie legte sich auf mich und lag lange auf mir drauf, ich konnte gar nicht mehr atmen. sie fragte: »spielst du jetzt mit mir familie oder nicht?« ich sagte: »mache ich, wenn du über mich drübersteigst.« da hielt mir dascha mit ihrer klebrigen hand mund und nase zu und fragte noch einmal: »spielst du?« ich sah ein, dass ich bald ersticken würde, und nickte. sie stieg von mir runter. sie reichte mir den ball und sagte, ich solle ihn in mir in die unterhose legen, weil ich dann meinem papa ähnlicher sei. und wir spielten weiter.


Aus dem Russischen von Anna Brixa
»solche bilder darf man nicht malen, noch nicht einmal schön«



die Zusammenfassung

Ein Mädchen zieht zum wiederholten Mal mit Stiefvater und Mutter um. Am Wochenende holt der Stiefvater jeweils seine eigene Tochter, da- mit die Mädchen miteinander spielen. Der Protagonistin fällt es schwer, ihren Stiefvater »Papa« und das Mädchen »Schwester« zu nennen. Die Stiefschwester, die etwas älter ist und daher in allen Belangen besser Bescheid weiß, erzählt der Protagonistin, was Sex ist, und demonstriert ihr Wissen im Spiel – wobei sie nicht vergisst, hinzuzufügen, es sei aber ein großes Geheimnis. Alle Formen sexueller Entwicklung der fünfjährigen Protagonistin, selbst die unbedeutendsten, rufen augenblicklich Hysterie bei ihrer Großmutter und absolutes Schweigen bei ihrer Mutter hervor. Als die Großmutter im Zimmer der Enkelin eine Zeichnung mit nackten Figuren findet, verbietet sie ihr, jemals wieder etwas Ähnliches zu malen, es sei »schlecht«. Die Mutter kommuniziert mit dem Kind über kurze Sätze wie »Sei ein kluges Mädchen« und »Mach mir keine Schande«. Der Stiefvater spricht gar nicht mit ihr, wird aber gelegentlich gewalttätig. In dem postsowjetischen Umfeld, in dem es aufwächst und in dem Sexualität derart tabuisiert wird, ist das Mädchen gezwungen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich ein Bild von der Welt zu machen, das naturgemäß nicht immer korrekt ist.


[Auszug]


16

heute haben wir frei! denn es ist feiertag: der tag unseres landes. papa guckt fernsehen, mama wäscht und kocht. ich hatte lange gebettelt, und mama erlaubte mir schließlich, mit der kamera videos zu machen. ich baute drei länder: das filzstiftland, das barbieland und das knopfland. die filzstifte hatten ein haus aus videokassetten und die knöpfe eins aus kassetten mit liedern drauf. ich teilte die länder mit bändern voneinander ab. die knopfkönigin fuhr heute mit ihren prinzessinnen ins barbieland. ich wollte so spielen, dass es auch einen ken gibt, denn das barbieland brauchte ja auch einen präsidenten. ich fragte mama, ob sie mir ken kaufen könne. mama fragte, was das sei. ich sagte, ein barbiejunge. mama sah nicht ein, wozu ich den brauchte. ich sagte, dass wir im kindergarten immer mit ken spielen und dass ich jetzt gerade einen präsidenten bräuchte. mama sagte, dass eine frau genauso gut präsident sein könne. ich fragte mama, in welchem land denn eine frau präsident wäre. mama sagte, dass sie das nicht wisse, und ich spielte ohne ken weiter. ich überlegte und beschloss, dass sindy als die älteste präsident werden sollte. die knopfkönigin fuhr also ins barbieland und wurde von sindy begrüßt. sie drehte sich, machte einen spagat und bekam zehn punkte. mama sagt, dass es unterschiedliche spagate gibt. wenn ich einen mache, sagt mama, gibt es dafür nur sieben punkte. aber das ist dann ein längsspagat. es gibt auch den querspagat, so kann sich barbie aber nicht hinsetzen. sindy kann die knie nicht knicken, weil sie schon so alt ist. bei barbie knicken sie richtig, und sie zeigt noch eine andere nummer: sie beugt die knie in unterschiedliche richtungen. danach fragte barbie, was die knopfkönigin denn so kann. die knopfkönigin kann sich drehen! ich ließ den knopf kreiseln, und seine oberfläche verwischte. er drehte sich sehr schnell und kam dann langsam zum stehen. mama sagt, dass das so ähnlich aussieht wie eiskunstlauf, sie mag eiskunstlauf sehr. sie erklärt mir, dass man das »drehschwung« nennt. danach gingen barbie und die knöpfe ins filzstiftland. auch die filzstifte und die marker hatten sich mit kleidern herausgeputzt und drehten sich. man konnte sie anpusten, und dann flogen die kleider schön. mama war fertig mit dem waschen und ging zu papa, um auch fernsehen zu gucken. im fernsehen zeigten sie eine sendung, in der kinder, die so alt wie ich oder etwas älter waren, lieder sangen. mama mag diese sendung. sie und papa guckten das, und ich filmte die länder. dann sagte mama: »schau mal! dieses mädchen ist auch vier, aber wie die singt!«, und ich ging hin, um es mir anzusehen. das mädchen sang, und mama freute sich. sie sagte zu papa: »also sowas, was es für erstaunliche kinder gibt!« ich ging spielen. mama fragte: »warum interessiert dich das denn nicht? die sind genauso alt wie du, aber singen schon auf der bühne, das ist doch toll!« ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wollte weiterspielen. aber es klappte irgendwie nicht. ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. deshalb fing ich an aufzuräumen. die knöpfe ins glas, die filzstifte in die schachtel, die barbie in den schrank. meine augen brannten, und das schlucken wurde sehr schwer. ich wartete darauf, dass die sendung schnell zu ende ging, aber sie ging nicht zu ende. ich legte mich aufs bett und begann, die blümchen auf der tapete zu zahlen. ich kann sehr weit zählen! ich kenne alle zahlen! die stehen hinten im lexikon.


17
mama und papa streiten sich die ganze zeit. und wenn papa bier trinkt, wird er komisch und will mich in den arm nehmen, aber ich renne weg, weil er schlecht riecht. mama hat gesagt, dass ich bei oma wohnen soll. und so bin ich zu oma gezogen. ich bin mit oma in ihre schule gegangen und habe da gemalt, während sie unterrichtete. gestern habe ich einen tiger gemalt, und oma hat mich gelobt und für den tiger einen rahmen gemacht und ihn an die wand gehängt. omas freundin hat eine tochter, lisa. lisa lernt tanz und hat schöne helle haare. sie kamen zu besuch, damit oma lisas maße nehmen konnte, um ihr ein ballkleid zu nähen. ich wollte auch so ein kleid, aber mama will mich nicht in den tanzunterricht lassen, denn sie sagt, ich habe kein rhythmusgefühl und bewege mich schlecht und kann überhaupt gar nichts. oma nähte, und ihre freundin ging besorgungen machen, und lisa und ich spielten im anderen zimmer, und ich erzählte ihr, wie die leute ficken. lisa sagte, dass sie das auch will. lisa und ich legten uns abwechselnd unter die decke, wo es dunkel war und man uns nicht sah. lisa fragte mich, was man machen muss, und ich sagte ihr, dass man sich einfach nur hin und her bewegen muss. und dann erwischte uns oma und schimpfte ganz doll mit uns. lisa weinte und bat sie, ihrer mama nichts zu sagen. aber oma schimpfte und sagte, dass das sünde sei und gott uns bestrafen werde. wir schämten uns sehr, und ich beschloss, das nicht mehr zu machen. oma schickte mich zurück, und ich wohnte wieder bei mama und papa.


18
gestern wurde ich getauft. man gab mir ein kleines silbernes kreuz und sagte, dass ich es nie wieder abnehmen solle. mir hat die taufe nicht gefallen. sie war langweilig, dauerte lange, und es waren viele leute da. und heute sind wir wieder in die kirche gegangen, und ich musste etwas von einem löffel essen. alle haben den abgeleckt, und ich wollte das nicht, aber mama sagte, dass ich das unbedingt machen müsse. ich aß etwas nicht leckeres, weiches. mama sagte: »das sind leib und blut christi«. ich verstand nicht, warum man den körper von jemand anderem essen sollte. mama sagte, das sei im übertragenen sinne. das verstand ich. dann bekam ich ein neues testament. aber ich wollte es nicht lesen. es steckte in einem überhaupt nicht schönen und traurig aussehenden schutzumschlag. darauf sei der liebe gott abgebildet, erzählten sie mir und auch, was mit ihm passiert war. das machte mich sehr traurig. aber mama erklärte mir, dass alles gut sei und er jetzt im himmel sei und auf uns schaue und daher müsse man sich gut benehmen, damit er nicht traurig werde, denn er war ja gestorben, damit wir alle uns gut benehmen würden.


19
dascha und sonja kamen wieder und redeten nur über jungs, und dascha war ganz anders geworden. sie lief nur noch sonja hinterher und machte alles, was die ihr sagte. mich brauchten sie nicht. und dann kam papa und schimpfte mit mir und haute mir eine runter. er schlug mich, weil ich mich nicht umgezogen hatte. und dascha und sonja hatten kein mitleid mit mir. ich dachte mir, dass ich beim nächsten mal, wenn papa mich schlagen würde, schnell seinen jeansgürtel nehmen und zurückschlagen würde. danach zog ich mich um. dascha und sonja hörten musik und tanzten im wohnzimmer. ich tanzte mit. Ich hüpfte so doll, dass ich danach auf dem teppich lag und nach luft schnappte. und sonja stieg über mich drüber. ich bat sie, wieder über mich zurückzusteigen, weil man mir im kindergarten gesagt hatte, dass ich nicht weiterwachse, wenn man nicht zurücksteigt. aber sonja lachte und sagte, dass sie das nicht tun werde. dascha lachte mit. ich bat sie, doch bitte wieder über mich zurückzusteigen, aber sie stieg trotzdem nicht über mich zurück. ich weinte, weil ich angst hatte, jetzt nicht mehr zu wachsen, und sie tanzten einfach weiter und sangen laut. ich verstand nicht, warum sonja nicht über mich zurücksteigen konnte. dascha stieg auch über mich drüber und lachte. abends fuhr sonja weg, und dascha blieb über nacht. ich bat dascha noch einmal, über mich drüberzusteigen, aber dascha sagte nein. sie schlug vor, familie zu spielen. ich wollte nicht. dascha sagte: »ich befehle es dir aber!« und sie schmiss mich auf den boden und setzte sich auf mich drauf. ich versuchte, sie von mir runterzubekommen, aber sie ist sehr dick und sehr stark. sie legte sich auf mich und lag lange auf mir drauf, ich konnte gar nicht mehr atmen. sie fragte: »spielst du jetzt mit mir familie oder nicht?« ich sagte: »mache ich, wenn du über mich drübersteigst.« da hielt mir dascha mit ihrer klebrigen hand mund und nase zu und fragte noch einmal: »spielst du?« ich sah ein, dass ich bald ersticken würde, und nickte. sie stieg von mir runter. sie reichte mir den ball und sagte, ich solle ihn in mir in die unterhose legen, weil ich dann meinem papa ähnlicher sei. und wir spielten weiter.


Aus dem Russischen von Anna Brixa
»solche bilder darf man nicht malen, noch nicht einmal schön«



die Zusammenfassung

Ein Mädchen zieht zum wiederholten Mal mit Stiefvater und Mutter um. Am Wochenende holt der Stiefvater jeweils seine eigene Tochter, da- mit die Mädchen miteinander spielen. Der Protagonistin fällt es schwer, ihren Stiefvater »Papa« und das Mädchen »Schwester« zu nennen. Die Stiefschwester, die etwas älter ist und daher in allen Belangen besser Bescheid weiß, erzählt der Protagonistin, was Sex ist, und demonstriert ihr Wissen im Spiel – wobei sie nicht vergisst, hinzuzufügen, es sei aber ein großes Geheimnis. Alle Formen sexueller Entwicklung der fünfjährigen Protagonistin, selbst die unbedeutendsten, rufen augenblicklich Hysterie bei ihrer Großmutter und absolutes Schweigen bei ihrer Mutter hervor. Als die Großmutter im Zimmer der Enkelin eine Zeichnung mit nackten Figuren findet, verbietet sie ihr, jemals wieder etwas Ähnliches zu malen, es sei »schlecht«. Die Mutter kommuniziert mit dem Kind über kurze Sätze wie »Sei ein kluges Mädchen« und »Mach mir keine Schande«. Der Stiefvater spricht gar nicht mit ihr, wird aber gelegentlich gewalttätig. In dem postsowjetischen Umfeld, in dem es aufwächst und in dem Sexualität derart tabuisiert wird, ist das Mädchen gezwungen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich ein Bild von der Welt zu machen, das naturgemäß nicht immer korrekt ist.


[Auszug]


16

heute haben wir frei! denn es ist feiertag: der tag unseres landes. papa guckt fernsehen, mama wäscht und kocht. ich hatte lange gebettelt, und mama erlaubte mir schließlich, mit der kamera videos zu machen. ich baute drei länder: das filzstiftland, das barbieland und das knopfland. die filzstifte hatten ein haus aus videokassetten und die knöpfe eins aus kassetten mit liedern drauf. ich teilte die länder mit bändern voneinander ab. die knopfkönigin fuhr heute mit ihren prinzessinnen ins barbieland. ich wollte so spielen, dass es auch einen ken gibt, denn das barbieland brauchte ja auch einen präsidenten. ich fragte mama, ob sie mir ken kaufen könne. mama fragte, was das sei. ich sagte, ein barbiejunge. mama sah nicht ein, wozu ich den brauchte. ich sagte, dass wir im kindergarten immer mit ken spielen und dass ich jetzt gerade einen präsidenten bräuchte. mama sagte, dass eine frau genauso gut präsident sein könne. ich fragte mama, in welchem land denn eine frau präsident wäre. mama sagte, dass sie das nicht wisse, und ich spielte ohne ken weiter. ich überlegte und beschloss, dass sindy als die älteste präsident werden sollte. die knopfkönigin fuhr also ins barbieland und wurde von sindy begrüßt. sie drehte sich, machte einen spagat und bekam zehn punkte. mama sagt, dass es unterschiedliche spagate gibt. wenn ich einen mache, sagt mama, gibt es dafür nur sieben punkte. aber das ist dann ein längsspagat. es gibt auch den querspagat, so kann sich barbie aber nicht hinsetzen. sindy kann die knie nicht knicken, weil sie schon so alt ist. bei barbie knicken sie richtig, und sie zeigt noch eine andere nummer: sie beugt die knie in unterschiedliche richtungen. danach fragte barbie, was die knopfkönigin denn so kann. die knopfkönigin kann sich drehen! ich ließ den knopf kreiseln, und seine oberfläche verwischte. er drehte sich sehr schnell und kam dann langsam zum stehen. mama sagt, dass das so ähnlich aussieht wie eiskunstlauf, sie mag eiskunstlauf sehr. sie erklärt mir, dass man das »drehschwung« nennt. danach gingen barbie und die knöpfe ins filzstiftland. auch die filzstifte und die marker hatten sich mit kleidern herausgeputzt und drehten sich. man konnte sie anpusten, und dann flogen die kleider schön. mama war fertig mit dem waschen und ging zu papa, um auch fernsehen zu gucken. im fernsehen zeigten sie eine sendung, in der kinder, die so alt wie ich oder etwas älter waren, lieder sangen. mama mag diese sendung. sie und papa guckten das, und ich filmte die länder. dann sagte mama: »schau mal! dieses mädchen ist auch vier, aber wie die singt!«, und ich ging hin, um es mir anzusehen. das mädchen sang, und mama freute sich. sie sagte zu papa: »also sowas, was es für erstaunliche kinder gibt!« ich ging spielen. mama fragte: »warum interessiert dich das denn nicht? die sind genauso alt wie du, aber singen schon auf der bühne, das ist doch toll!« ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wollte weiterspielen. aber es klappte irgendwie nicht. ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. deshalb fing ich an aufzuräumen. die knöpfe ins glas, die filzstifte in die schachtel, die barbie in den schrank. meine augen brannten, und das schlucken wurde sehr schwer. ich wartete darauf, dass die sendung schnell zu ende ging, aber sie ging nicht zu ende. ich legte mich aufs bett und begann, die blümchen auf der tapete zu zahlen. ich kann sehr weit zählen! ich kenne alle zahlen! die stehen hinten im lexikon.


17
mama und papa streiten sich die ganze zeit. und wenn papa bier trinkt, wird er komisch und will mich in den arm nehmen, aber ich renne weg, weil er schlecht riecht. mama hat gesagt, dass ich bei oma wohnen soll. und so bin ich zu oma gezogen. ich bin mit oma in ihre schule gegangen und habe da gemalt, während sie unterrichtete. gestern habe ich einen tiger gemalt, und oma hat mich gelobt und für den tiger einen rahmen gemacht und ihn an die wand gehängt. omas freundin hat eine tochter, lisa. lisa lernt tanz und hat schöne helle haare. sie kamen zu besuch, damit oma lisas maße nehmen konnte, um ihr ein ballkleid zu nähen. ich wollte auch so ein kleid, aber mama will mich nicht in den tanzunterricht lassen, denn sie sagt, ich habe kein rhythmusgefühl und bewege mich schlecht und kann überhaupt gar nichts. oma nähte, und ihre freundin ging besorgungen machen, und lisa und ich spielten im anderen zimmer, und ich erzählte ihr, wie die leute ficken. lisa sagte, dass sie das auch will. lisa und ich legten uns abwechselnd unter die decke, wo es dunkel war und man uns nicht sah. lisa fragte mich, was man machen muss, und ich sagte ihr, dass man sich einfach nur hin und her bewegen muss. und dann erwischte uns oma und schimpfte ganz doll mit uns. lisa weinte und bat sie, ihrer mama nichts zu sagen. aber oma schimpfte und sagte, dass das sünde sei und gott uns bestrafen werde. wir schämten uns sehr, und ich beschloss, das nicht mehr zu machen. oma schickte mich zurück, und ich wohnte wieder bei mama und papa.


18
gestern wurde ich getauft. man gab mir ein kleines silbernes kreuz und sagte, dass ich es nie wieder abnehmen solle. mir hat die taufe nicht gefallen. sie war langweilig, dauerte lange, und es waren viele leute da. und heute sind wir wieder in die kirche gegangen, und ich musste etwas von einem löffel essen. alle haben den abgeleckt, und ich wollte das nicht, aber mama sagte, dass ich das unbedingt machen müsse. ich aß etwas nicht leckeres, weiches. mama sagte: »das sind leib und blut christi«. ich verstand nicht, warum man den körper von jemand anderem essen sollte. mama sagte, das sei im übertragenen sinne. das verstand ich. dann bekam ich ein neues testament. aber ich wollte es nicht lesen. es steckte in einem überhaupt nicht schönen und traurig aussehenden schutzumschlag. darauf sei der liebe gott abgebildet, erzählten sie mir und auch, was mit ihm passiert war. das machte mich sehr traurig. aber mama erklärte mir, dass alles gut sei und er jetzt im himmel sei und auf uns schaue und daher müsse man sich gut benehmen, damit er nicht traurig werde, denn er war ja gestorben, damit wir alle uns gut benehmen würden.


19
dascha und sonja kamen wieder und redeten nur über jungs, und dascha war ganz anders geworden. sie lief nur noch sonja hinterher und machte alles, was die ihr sagte. mich brauchten sie nicht. und dann kam papa und schimpfte mit mir und haute mir eine runter. er schlug mich, weil ich mich nicht umgezogen hatte. und dascha und sonja hatten kein mitleid mit mir. ich dachte mir, dass ich beim nächsten mal, wenn papa mich schlagen würde, schnell seinen jeansgürtel nehmen und zurückschlagen würde. danach zog ich mich um. dascha und sonja hörten musik und tanzten im wohnzimmer. ich tanzte mit. Ich hüpfte so doll, dass ich danach auf dem teppich lag und nach luft schnappte. und sonja stieg über mich drüber. ich bat sie, wieder über mich zurückzusteigen, weil man mir im kindergarten gesagt hatte, dass ich nicht weiterwachse, wenn man nicht zurücksteigt. aber sonja lachte und sagte, dass sie das nicht tun werde. dascha lachte mit. ich bat sie, doch bitte wieder über mich zurückzusteigen, aber sie stieg trotzdem nicht über mich zurück. ich weinte, weil ich angst hatte, jetzt nicht mehr zu wachsen, und sie tanzten einfach weiter und sangen laut. ich verstand nicht, warum sonja nicht über mich zurücksteigen konnte. dascha stieg auch über mich drüber und lachte. abends fuhr sonja weg, und dascha blieb über nacht. ich bat dascha noch einmal, über mich drüberzusteigen, aber dascha sagte nein. sie schlug vor, familie zu spielen. ich wollte nicht. dascha sagte: »ich befehle es dir aber!« und sie schmiss mich auf den boden und setzte sich auf mich drauf. ich versuchte, sie von mir runterzubekommen, aber sie ist sehr dick und sehr stark. sie legte sich auf mich und lag lange auf mir drauf, ich konnte gar nicht mehr atmen. sie fragte: »spielst du jetzt mit mir familie oder nicht?« ich sagte: »mache ich, wenn du über mich drübersteigst.« da hielt mir dascha mit ihrer klebrigen hand mund und nase zu und fragte noch einmal: »spielst du?« ich sah ein, dass ich bald ersticken würde, und nickte. sie stieg von mir runter. sie reichte mir den ball und sagte, ich solle ihn in mir in die unterhose legen, weil ich dann meinem papa ähnlicher sei. und wir spielten weiter.


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